1918

Das Jahr 1918                                                

Der Wunsch nach Frieden wurde bei allen Leuten immer stärker. Man verspürte die üblen Folgen des langen Krieges immer mehr. Die notwendigen Bedürfnisse zum Lebensunterhalt wurden immer knapper. So schritt die Regierung wie im letzten Jahr zur Getreideaufnahme.
Vom 18. Januar fand im Ort die Getreideaufnahme statt. Man fand glücklicherweise noch manchen schönen Vorrat. Aber die Vorschrift, daß alle Schweine, die mehr als 30 kg Gewicht hatten, abzuschlachten seien, verursachte viel Bitterkeit und Ärger bei den Bauern. Auch bei den anderen Leuten fand dieses Schweinemorden kein Verständnis. Es war überhaupt das besondere Mißgeschick dieser Verordnungen, daß man die Massenabschlachtungen zur ungünstigsten Zeit anordnete. So wurden im Frühjahr 1918 viele, viele Rinder abgeschlachtet, nachdem sie den ganzen Winter hindurch gefüttert wurden. Und als das Futter aufgezehrt war, schlachtete man sie ab. Das hätte man doch besser im Herbst 1917 tun sollen, wo die Tiere wohlgenährter gewesen wären als im Frühjahr drauf.

Zu Beginn des Monats Februar hörte man, daß das republikanische Rußland sich geneigt zeige zum Frieden. War diese Nachricht eine Freude! Der ganze Monat geht herum, ohne daß es Frieden geworden ist. Der russische Unterhändler Trotzki war ein hartnäckiger, trotziger Geselle!
Am 25. Februar feierte man Königs 70. Geburtstag, aber wieder still. Auch für dieses Jahr will’s der König so haben.

Der Monat März bringt uns dem Frieden mit Rußland näher. Am 4. März, nachmittags 5 Uhr, wird mit Rußland in Brest-Litowsk der Friede unterzeichnet.
Am 5. März: Vorfriede mit Rumänien
Am 7. März: Abschluß des Friedens mit Finnland

Nachdem man nun mit Rußland Frieden gemacht hat, so kommen alle die entbehrlichen Truppen vom Osten nach Westen. Allgemein glaubt man, daß jetzt mit aller Macht auf die Franzosen, Engländer und Amerikaner losgegangen wird, um auch im Westen einen deutschen Sieg zu erkämpfen. Aber so unter der Hand erfuhr man, daß die Truppen vom Osten einen bösen, disziplinlosen Geist hätten. Während des Transports nach dem Westen hätten ganze Regimenter sich geweigert, sich an die Westgrenze auf das Schlachtfeld befördern zu lassen. Nur durch gütiges Zureden der Führer wären die Mannschaften beruhigt worden. Betrübende Anzeichen bei unserem Heer!

Am 21. März beginnt die große Offensive im Westen, die im Großen und Ganzen glückte. Große Freude hierüber! Aber manches Herz zitterte doch darüber, was für Nachrichten wohl vom Felde kommen werden.
Am 17. März fand die Konfirmation mit 29 Konfirmanden statt.

Der Monat April ließ sich gut an; die Felder konnten beizeiten bestellt werden. Weil das Fett überall so knapp war und die Ölfrüchte so stark im Preis stiegen, so wurde von vielen Leuten Mohn angepflanzt. Manche Bauern waren gegen die Leute, die keinen eigenen Grund und Boden hatten, so entgegenkommend, daß sie ein kleines Stück Land an solche abtraten, damit diese auch Mohn anpflanzen konnten.

Der Mai zeigte sich auch in diesem Jahr als Wonnemonat. Wie in anderen Bezirken des Landes so wurde auch im Oberamt Ulm ein sogenannter „Schwabendienst“ eingerichtet, der alle Sammlungen in die richtigen Hände leiten wollte. Alle sollte gesammelt werden: Papier, Flaschen, Arzneifläschchen, Leinwand, Messing, Kupfer, Platin, Gummi und andere Artikel. Der Bezirksvertreter war Rektor Barth in Ulm. Zu allererst sollten die Schüler Laubheu machen. Mit Säckchen und Bernerwägelchen gingen die Schüler in den Wald und streiften das Laub ab. Auf den Wägelein wurden die vollgestopften Säcke heimgefahren; auf den Bühnen wurde das Laub getrocknet. Im Ganzen wurden mit der Bahn 77,46 Zentner getrocknetes Laub abgeliefert. Für den Zentner wurden 16 M bezahlt.

Der Monat Juni war zu Anfang recht kühl. Ein paarmal gab es starken Reifen. Das Gras wollte darum auch nicht wachsen. Der „Heuet“ fiel deshalb auch nicht so aus, wie es die Bauern sich wünschten. Sie jammerten über die kleinen und wenigen Wagen Heu. Doch brachten sie es gut unter Dach.

Im Monat Juli wurde für die Ludendorff-Spende 325 M 50 Pf. ersammelt; eine weitere von 50 M spendeten die Schüler für denselben Zweck.
Die Lebensmittelpreise steigen immer höher. Für den Monat August und die folgenden Monate wurden fleischlose Wochen in Aussicht gestellt. Man kann es kaum erwarten, bis das Getreide reif ist. Recht knapp wird auch die Kriegsseife und das Seifenpulver. Die Frauen jammern, daß ihre Wäsche nicht mehr weiß werde. Manche Bäuerinnen kehren zum Alten zurück und verwenden Holzasche zum Waschen statt Soda und Seifenpulver. Das Hamstern der Stadtleute nimmt immer mehr zu.

Am 15. Juli begann abermals eine große Offensive bei Reims, die völlig mißlingt. Ludendorff gibt bekannt, daß Verrat mitgespielt habe. Ein furchtbares Wort für ein deutsches Herz!
Im Monat Juli war der frühere Pfarrer Paulus, derzeit in Baiersbronn tätig, einige Tage auf Besuch hier.

Am 3. August beginnt die Getreideernte, die bei recht günstigem Wetter eingebracht wird.
Der 8. August brachte heftige Angriffe der vereinigten Engländer und Franzosen bei Amiens. Der beabsichtigte Durchbruch unserer Feinde gelang nicht. Das hervorragende Eingreifen der württembergischen Artillerie hat den Plan der Feinde vereitelt.
Jetzt werden schon Stimmen laut über einen etwaigen unglücklichen Ausgang des Krieges. Die Folgen werden besprochen. Man vermutet, daß der Kaiser dann wohl abdanken müsse. Für ein deutsches Herz schlimme Gedanken und böse Aussichten.

Auf den 12. September werden die Geistlichen, Ortsvorsteher und Lehrer nach Ulm in den „Greifensaal“ eingeladen, um Vorträge von Hauptmann Dr. Germelink (Professor), Leutnant Hermann (Landwirt in Blaufelden) und Leutnant Kimmelmann anzuhören zwecks Aufmunterung der Bevölkerung, in der Arbeit fürs Vaterland nicht zu erlahmen und sich durch Lügennachrichten unserer Feinde nicht beeinflussen zu lassen.
Mitte September besuchte der frühere Pfarrer Jäckl, zurzeit in Bad Boll, die hiesige Gemeinde. An einem Abend hielt  er in der Kirche einen Gottesdienst. In der „Glocke“ kamen Bürger der Gemeinde zusammen, um mit dem früheren Geistlichen noch einige Stunden beisammen sein zu können.
So um die Mitte des Monats wurden 2 von unseren Glocken vom Turm herabgetan, um abgeliefert zu werden. Mit gemischten Gefühlen betrachtete man den Vorgang des Herablassens beider Glocken. Thomas Schleicher übernahm den Transport nach Ulm.
30. September: Reichskanzler Graf Hertling tritt zurück.

Es ist ein Jammer! Im Westen haben unsere Feinde die Oberhand gewonnen. Unsere Verbündete halten nicht mehr stand. Bulgarien will, des Krieges müde, einen Sonderfrieden schließen. Der österreichische Minister Burian geht auf eigene Faust vor. Hinterher erfuhr man, daß Kaiser Karl von Österreich an Kaiser Wilhelm II telegraphiert habe, er werde in kurzer Zeit Frieden schließen. Die Türkei verliert ein Stück Land ums andere. Die Italiener bedrohen die Grenze Bayerns, weil die Österreicher und Ungarn das italienische Kampfgebiet aufgeben.

Bei uns im Lande, namentlich in Norddeutschland, gärt es gewaltig. Man hört auch hier seltsame und gedankenlose Aussprüche, wie z. B. diese: „Es wär halt am beschda gwäa, wenn mir anno 70 französisch worda wäret“. Oder: „Keiat s’G’wehr na ond lasset’s doch sei, no hamer Ruah!“
Allerlei Gerüchte schwirrten in der Luft herum, welche die Leute aus Ulm mitbrachten; so z. B. der Kaiser sei erschossen; der Kronprinz von Bayern sei eingesperrt u a. – Die Arbeit unserer Feind, unsere innere Einheit zu zerschlagen, war gelungen. Mit Sorgen sah man den kommenden Tagen und Wochen entgegen.

Im Oktober war die Witterung sehr launisch. Das Feld trug reiche Früchte. Obst, namentlich Zwetschgen gab es in Mengen. Unsere Bauern verlangten für 1 Pfund Zwetschgen nicht mehr als 25 Pf.

  1. Oktober: Das alte System ist zu Ende! Ein neuer Abschnitt der politischen Geschichte beginnt. Prinz Max von Baden ist Kanzler geworden. Auf energisches Betreiben Ludendorffs wird vom neuen Reichskanzler ein neues Friedensangebot an Wilson abgeschickt, obwohl sich der neue Kanzler anfangs dagegen sträubte.
    28. Oktober: Deutschland hat jetzt eine parlamentarische Regierung. Ludendorff tritt von seinem Posten zurück. General Gröner kommt an seine Stelle.

Mit bangen Fragen wird man bestürmt. Was wird jetzt werden? Schmerzlich war es zu lesen, daß ausgesprochen werde müsse, daß die deutsche Bevölkerung in den letzten 2 Jahren nicht der Wahrheit gemäß unterrichtet worden sei. Daß Deutschland den Krieg verloren habe, könne nun nicht mehr verheimlicht werden. Eine niederschmetternde Nachricht!

Im Ort trat die Grippe auf. Viele Personen lagen krank darnieder. Die Krankheit verursachte sehr hohes Fieber, gewöhnlich trat Lungenentzündung ein mit heftigen Kopfschmerzen. Einen kräftigen Mann, Johannes Krauß in Schechstetten, raffte der Tod hinweg. Auch eine Bäuerin, Ursula Honold geborene Bosch, Mutter mehrer Kinder, starb an dieser heimtückischen Krankheit.

Der Monat November bringt uns Schweres. Nachdem Bulgarien und Österreich von uns abgefallen sind, sehen wir mit Bangen den Entschließungen unserer haßerfüllten Feinde entgegen. Wir sind zunächst genötigt, um einen Waffenstillstand nachzusuchen.
Am 6. November ist die deutsche Delegation zum Abschluß des Waffenstillstandes und zur Aufnahme von Vorbesprechungen für die Friedensverhandlungen nach dem Westen gereist, in den Wald von Compiegne.
Die Delegation bestand aus General Winterfeldt, Kapitän Vansilow, Staatssekretär Erzberger, General Oberndorff, General Gündell. Als dies die bayrischen Soldaten gehört hätten, die Waffenstillstandskommission wäre durch die deutschen Linien gefahren, so hätten sie sämtliche Waffen weggeworfen und seien davongelaufen. Ein ganz unverzeihlicher Fehler! Damit war die völlige Auflösung des Heeres eingeleitet.

Die Waffenstillstandsbedingungen waren für uns furchtbar! Wir mußten unsere tapferen, unbesiegten Heere bis hinter den Rhein zurücknehmen. Viel Kriegsmaterial fiel in die Hände unserer Feinde. Und was mußten wir an Lokomotiven, Personen- und Güterwagen, an Maschinen aller Art abgeben! Das Herz krampfte einem zusammen, es wurde einem dumm im Kopf, wenn man diese Zahlen durchlas.
O, unsere Feinde rächten sich furchtbar!

In Norddeutschland, namentlich in Kiel, ging es äußerst erregt zu.
In München wurde am 7. November der König verjagt.
Auch in Stuttgart regten sich die unruhigen Geister. Das Ministerium Weizsäcker gab rasch seine Entlassung. Am 9. November bildete der Abgeordnete Liesching ein Ministerium, das aber den Abend nicht erlebte.
Unser guter, alter König Wilhelm wurde von ein paar Frechlingen zum Rücktritt gezwungen. Am Abend des 9. November siedelte der König nach Bebenhausen über.

In Ulm, Stuttgart und anderen Waffenplätzen wurde das Militär entwaffnet. Dabei haben sich die Offiziere, höhere wie niedere, nicht gerade mutig benommen.
Am 9. November (Samstag) wurde Württemberg zur Republik erklärt. Die Sozialisten Lolos und Crispien wurden zu Vorsitzenden  des neuen Ministeriums ernannt. Kriegsminister wurde ein früherer Zuschneider namens Schreiner, Kultusminister der Abgeordnete Heymann.

Der Kaiser und der Kronprinz flüchteten von Spaa aus nach Holland, wo beide heute noch sind. Die Flucht des Kaisers hat viele Leute vor den Kopf gestoßen. Daß er sein deutsches Volk im Stich ließ, nachdem er und seine Ratgeber es ins Unglück hineingeführt hatten, wurde ihm von manchem patriotischen Mann verübelt.
Die bisherige Reichsregierung unter Prinz Max trat zurück. Der Sozialistenführer Scheidemann wurde Reichskanzler. Der Sozialist Ebert wurde Reichspräsident.

In den Städten und Dörfern befahlen zunächst die Soldaten- und Arbeiterräte und Bauernräte. Mit Ausbruch der Revolution und dem Beginn der Tätigkeit der neuen Regierung wurde der 8-stündige Arbeitstag eingeführt, der von der hiesigen bürgerlichen Bevölkerung als unnötig und für die landwirtschaftlichen Betriebe als undurchführbar bezeichnet wurde. Und in der Tat: der 8-stündige Arbeitstag ist eine sehr zweifelhafte Errungenschaft der Revolution!

Am 11. 11. vormittags trat der Waffenstillstand ein. Nun kehrten die Truppen heim. Wenn unser Heer nur hinter dem Rhein so lange stehen geblieben wäre, bis man hätte mit den Friedensverhandlungen beginnen können! Aber die Truppen ließen sich nicht mehr halten. Sie wollten heim, sie hatten lange genug in dem Waffenhandwerk gearbeitet; sie sehnten sich nach Hause zu Weib und Kind, zu Vater und Mutter. Eine Abteilung bayrischer Soldaten (Train) kam auch durch unseren Ort. Viele der Rosselenker waren in Schafpelze gehüllt.

Am 28. November verzichtet der Kaiser auf den Kaiser- und Königsthron. Was würde Bismarck dazu gesagt haben, wenn er dies alles miterlebt hätte!
Am 30. November verzichtet auch unser König Wilhelm auf den Thron und nahm Abschied vom württembergischen Volk. Er lebt unter dem Namen eines Herzogs von Württemberg. Die beiden Schlösser Bebenhausen und Friedrichshafen sind ihm als Eigentum überlassen worden.

Im Monat Dezember kehren die Frontsoldaten so nach und nach zurück. Sie waren nun froh, daß sie wieder zu Hause waren. Ich fragte einen der Heimgekehrten, was er denn meine über den Ausgang des Krieges. Er gab zur Antwort: „Jetzt gatt’s om de Großkopfete“! Ich meinte dazu, wenn die Kleinen nur nicht auch darunter zu leiden haben.

Weihnachten stand nun wieder vor der Tür. Nun hörte man wieder: „Friede auf Erden!“ Aber so hatte man sich im letzten Jahr das Weihnachtsfest nicht gedacht. Auf allen Gemütern lastete ein Druck.

Am 29. Dezember hielt man für unsere Heimgekehrten eine Begrüßungsfeier. Der Saal in der „Glocke“ war gesteckt voll. Ansprachen wurden gehalten von Pfarrer Dornfeld, Postagent Mayer als Vorstand des Kriegervereins, Johannes Gebhardt als Vorstand des Gesangvereins und von Hauptlehrer Hanßum.
Im Hauptgottesdienst gedachte der Geistliche in warmen Worten der heimgekehrten Krieger.

  1. Dezember: der Himmel weinte den ganzen Tag. Wohl über das Schicksal des deutschen Volkes? Die Nacht ist stockfinster. Unser Blick richtet sich aufwärts; Hoffnung zieht in unsere Seele ein!

Für die 8. Kriegsanleihe wurde gezeichnet:
1. Bei Hauptlehrer Hanßum          41400 M
2. Bei Postagent Mayer                  64100 M

Für die 9. Kriegsanleihe wurde gezeichnet:
1. Bei Hauptlehrer Hanßum          29300 M
2. Bei Postagent Mayer                  48810 M

 

Gefallen sind im Jahr 1918:
Matthäus Mayländer (23. März), Michael Färber (1. April), Christian Eberhardt (19. April), Christian Honold (6. Aug.), Christian Bückle (7./ 8. Aug.),
Paul Eckhardt (14. Sept.), August Wörz (26. Sept.), Georg Scheifele (9. Okt.),
Matthäus Fink (13. Oktober), Georg Helferich (19. Oktober),
Nikolaus Miller (25. Oktober